Vergangenen Sonntag: Vor dem Haus in der Heinestraße 60 steht eine Mulde. Matratzenteile liegen darin; ein alter brauner Aktenkoffer; abgeschlagene Fliesen; zerkleinerte Möbel; ein blauer Klappsessel und ein paar Pappkartons, auf welchen noch Banderolen der Spurensicherung kleben. Ein Mann um die 45 und eine junge Frau tragen Abfälle aus dem Haus; später streifen sie durch den Garten

Natascha im Horrorhaus
Die junge Frau … Natascha Kampusch. Das Mädchen, berichten Nachbarn, ist oft hier, in Strasshof. Die nunmehr 22-Jährige halte sich manchmal stundenlang in den Räumen, die einst ihr Gefängnis gewesen sind, auf; ihr Schatten sei durch die Vorhänge zu sehen. Sie sitze im Garten, auf einem der hübschen Stühle aus Teakholz, unter dem neuen, strahlend-weißen Sonnenschirm; mit geschlossenen Augen oder lesend. Das Haus … ist für Natascha Kampusch ein Zuhause, irgendwie.
Viele Gerüchte
Wenige Einzelheiten sind bis dato über ihr Früher in der Heinestraße 60 bekannt. Das Opfer will dazu kaum Details verraten. Der Täter tot. Viele Rätsel zu der Causa scheinen daher ungelöst. Die Folge: Gerüchte. Priklopil hätte Mitwisser, Mittäter, gehabt; Natascha würde von diesen Menschen erpresst. Behauptungen, für die es keine Beweise gibt. Und die den vorliegenden Fakten zu dem Fall zumeist total widersprechen. Was sind Fantasiegespinste, was Halbwahrheiten? Was ist Gewissheit? NEWS wirft die brennendsten Fragen zu der Causa auf und bringt die Antworten:

Hatte Priklopil Mittäter?
Vorweg: Jenes Mädchen, das Natascha am Morgen des 2. März 1998 in einem weißen Kastenwagen verschwinden sah, ist sich bis dato sicher, dass Kampusch von einem Mann in das Fahrzeug gezerrt worden sei und ein zweiter am Steuer gesessen habe. Zudem hat Natascha kurz nach ihrer Aufgreifung auf die Frage Gab es Mittäter? geantwortet: Ich kenne keine Namen. Weswegen sich trotz der späteren Schilderungen des Opfers in Verhören darüber, wie sein Peiniger es allein geschafft hatte, es in seine Gewalt zu bringen und beinahe ein Jahrzehnt lang gefangen zu halten hartnäckig die Mehrtäter-Theorie hält. Freilich hat die SOKO Natascha ungeachtet Kampuschs Aussagen intensiv nach etwaigen Komplizen gesucht. Vergeblich.
Kannten Priklopils Mutter und sein Freund das Opfer?
Fakt ist: Schon wenige Stunden nach Nataschas Flucht wurden das Mädchen und Waltraud Priklopil, getrennt voneinander, aber in nebeneinanderliegenden Vernehmungszimmern gefragt, ob sie einander kennen. Beiden wurden aktuelle Fotos voneinander vorgelegt. Beide vermittelten glaubhaft, sie hätten einander noch nie zuvor gesehen. In einem NEWS-Exklusivinterview im Mai 2008 wiederholte Priklopils Mutter diese Angaben: Das Einzige, was ich weiß, ist: Ich habe nichts gewusst über Wolfgang, gar nichts.

Und Priklopils bester Freund und Geschäftspartner, Ernst H., gab vergangenen Herbst ebenfalls in einem NEWS-Exklusivinterview an: Es war im Juni 2006, als Wolfgang auf mein Firmengelände kam. Und da war eine junge Frau dabei. Er stellte sie mir als Bekannte vor, sie sagte: ,Grüß Gott. Mehr nicht. Niemals, so Ernst H. weiter, wäre er damals auf die Idee gekommen, es könne sich bei dem Mädchen um Natascha Kampusch handeln.
Hatten Täter und Opfer miteinander Sex?
Wolfgang Priklopil schaffte es auf perfideste Art, sich sein Opfer nach und nach auch zur Verbündeten zu machen. Bloß um Geld gehe es, erklärte er dem Kind am Beginn des Martyriums, und dass er als Mitglied einer Bande agiere. Deine Eltern wollen für dich nicht zahlen, erzählte er Natascha später. Der erste Schritt, ihre Seele zu brechen. Indem der Peiniger seinem Opfer einbläute, niemand draußen würde es lieben, band er es an sich und seinen Mikrokosmos des Irrsinns. Priklopil quälte das Mädchen, er schlug es, er drehte im Bunker das Licht aus, er ließ es hungern. Aber er gab ihm dann auch wieder zu essen, er sprach mit ihm, er brachte ihm Bücher. Das Opfer musste sich mit dem Täter arrangieren um zu überleben. Natascha wusste das. Und Priklopil auch. Und so konnte es geschehen, dass Wahnsinn zur Normalität wurde.

Natürlich, Kampusch hasste Priklopil. Aber sie begann ihn mit der Zeit auch zu mögen. Weil er eben der einzige Mensch war, mit dem sie sprechen, den sie anfassen konnte. Nein, Priklopil hat das Mädchen niemals vergewaltigt. Er wollte eine Beziehung mit einem reinen Mädchen.
Martina Prewein

Das Interview mit Natascha Kampusch und die Beweggründe für ihre Rückkehr lesen Sie im NEWS 30/09!

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